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release: jan 30, 2009 16:20PM

Kapitel 3

 

Okay, Radio Victoria war / ist zurück im Äther - mit einigen Promotionsendungen vorher für die "grosse" Abschluss- und Jubiläumssendung am 21.09.2008. Warum erst jetzt, was war passiert? Bevor wir also beleuchten, wie es überhaupt zu Radio Victoria kam - dies:

Nach dem Ende von RV war ich dann - Monate später - endlich im bundesdeutschen Privatfunk tätig, den ich so herbeigeträumt hatte.
Nacheinander bei RPR in der Turmstrasse 8 in Ludwigshafen (damals noch auf nur drei Frequenzen in Koblenz, Mainz und Mannheim), dann bei der Welle Untermain in Aschaffenburg (der Tochter der lokalen Tageszeitung Main-Echo, dort mit Abstand die bekannteste Stimme im Äther), danach in der Planungsphase von Radio Ton (Bad Mergentheim) involviert, dann Schwarzwald Radio in Freiburg (dortige Großtat : In der Medienanalyse Frühjahr 1990: den Sender von 98.000 auf 134.000 Hörer "gestern" gebracht!) sowie später Antenne 1 Stuttgart, eine Gastsendung (Liveübertragung) bei Ruhrwelle Bochum und in der Planungsphase von Welle "T" (Thüringen) in Erfurt tätig gewesen. Abgesehen von dem letztendlich erfolglosen Versuch, eine "eigene" nichtkommerzielle Lokalstation namens "Radio Ko(h)libri" (1996/1997 ca. 2 Wochen Sendungen) zu etablieren, dann nicht mehr im Radio tätig gewesen.

Medientechnisch gesehen habe ich mich seit den 90er Jahren mit Printmedien beschäftigt - einige Hörer hatten aber sporadisch doch Kontakt zu mir. Und bedrängten mich immer wieder mal etwas "zu machen" - 1993, 2003 usw...
Das zwanzigjährige Jubiläum habe ich verpennt, auch aus technischen Gründen . Seitdem baue ich erst eine Musiksammlung auf, aus den gehorteten Schätzen meiner Privatsammlung und langem Suchen - derzeit ca 40.000 (!) Titel als mp3 vorhanden, fein säuberlich mit allen Daten versehen (Erscheinungsjahr/Monat) und nach Jahrzehnten sowie Musikgenres geordnet.
Damals arbeitete man mit Mischpult, Plattenspielern und Cassettendecks, heute mit mp3-Dateien, virtuellen Mischpulten und brennt alles auf DVD/CD. Diese technischen Voraussetzungen waren bei mir 2003 nur begrenzt gegeben.

Also 2008 zum 25jährigen... letzte Chance. Schließlich ist es 25 Jahre später (!). Eine ganze Generation und bevor wir alle wegsterben: wenn nicht jetzt, dann nie. Hat mich hunderte von Stunden gekostet, alles zusammen zu tragen und auszuwerten. Viel Spaß...

Heute? Mein Moderationsstil hat sich geändert. Ich setze auf Musik, Musik, Musik. Solche Musik, die ich für gut erachte und die (mal wieder!!) andere nicht spielen. Also nicht Gequatsche um des Gequatsches willen (wenn mir nochmal so etwas wie die Michelle über den Weg läuft, dann sicherlich auch gern mal wieder eine lustige Doppelmoderation), sondern heute eher ein nahtloser Musikteppich und emotionslose Ansagen - so wie damals bei dem zurückgekehrten Caroline ab 1983... Und die Zeilen mögen verraten, dass ich meinen Wiedereinstieg ins "Radio" gefunden habe. Es hat Gründe, weswegen ich nicht mehr "als Mitarbeiter bei einer Station" oder gar als der "Inhaber/Macher" (wie bei Radio Victoria oder Radio Ko(h)libri), sondern derzeit als Produzent und Präsentator von einem syndicated program mit Spezialmusik tätig bin (New Wave, New Romantic bis heute, EBM, dream-wave, dark wave, techno-trance, garniert mit Oldies, Italo-Pop, Pop und Softrock).
Da werden wir uns vielleicht "wiederhören". Irgendwo, irgendwie auf einer Frequenz.

Für Radio Victoria aber war es das. So ein Projekt kann man nicht wiederbeleben, war zuviel Arbeit, zuviel Sch(w)eiss und überhaupt... die Zeiten sind andere geworden.

Wie begann also alles, damals im Sommer 1983?

Ich hatte in drei Plattenspieler, ein Mischpult mit Equalizer, zwei Mikrofone und Kopfhörer, einem Billigcassettenrecorder (zum Zuspielen der auf Kassette gespeicherten "Jingles") sowie ein aufwendiges, hochwertiges Doppelcassettendeck mit Kopierfunktion (Einzelaussteuerung der Signale, Umschaltung auf Metall/Chrom, bias-Nachregelung, V-Meter) investiert. Damals, mehr gab die Situation nicht her, in einer Ecke eines möblierten Zimmers von knapp 20qm: das war das eigentlich nicht vorzeigbare "Studio" von Radio Victoria...!
Von da aus liefen bereits die Produktionen für Milano und Radio Time (Florenz). Und nach längerem "Reinhören" in die Kurzwelle und die dortige Hobbypiratenszene fand ich eigentlich nichts, was mich antörnte oder besser: auch EIN ZIEL hatte. Jeder wurstelte vor sich hin, machte mal sporadisch eine Sendung mit seinen sechs oder sieben Lieblingsscheiben und wartete auf Zuschriften, um seine eigenen QSL-Karten zu verschicken. Das konnte es ja nicht gewesen sein - jetzt, wo sich Privatradio in Deutschland irgendwo am Horizont abzeichnete. Da beeindruckten mich die italienischen Sender schon viel mehr, auch die vielen irischen Stationen, die man ab und an nachts auf Mittelwelle hörte, oder so Sachen wie WMR oder Radio Dublin auf Kurzwelle... Da steckte ein Konzept dahinter!

Finanzierung? Ich hatte da Kontakt zu einer kleineren Werbeagentur in Mühlheim (am Main), die mir einige Tips gaben. Zunächst mal das "Markenhandbuch" besorgen und die Firmen bzw. deren beauftragte Werbeagenturen anschreiben. "Zigaretten" und "Alkohol" standen da ganz oben auf der Liste der potentiellen Kunden. Zwar waren alle begeistert - erstes Privatradio in Deutschland?? Aber nur Kurzwelle, da wollte man doch vielleicht erst mal abwarten. Außerdem waren - wie branchenüblich - die Etats für 1983 bereits ein Jahr vorher vergeben worden... Also nicht entmutigen lassen und bis 1984 durchstehen. Und bald in den Äther kommen, bevor jemand anders die Idee wegschnappt.

Nach Geheimverhandlungen mit Dario Monferini in Italien, den ich regelmässig abends anrief, entstand der Plan, auch für die kommerzielle Verwertung des Kurzwellensenders von Radio Milano etwas zu tun: ein regelmässiges Programm als Untermieter auszustrahlen. Man kannte meine "Qualität" bereits von den WMRI-Testprogrammen, die vorher als "Teaser" liefen. Und war einverstanden. Es wurde ein Preis ausgemacht und ein Starttermin festgelegt.

Aber: ich war ALLEIN auf weiter Flur. Von Anfang an waren zweimal jeweils vier Stunden angedacht, um den Anspruch "regelmässig" und "Programm" zu untermauern. Zu der Hobbypiratenszene hatte ich KEINEN Kontakt und das, was ich da hörte, befand ich nicht geeignet (!), um bei Radio Victoria Programm zu machen. Mit "DJs", die ins Mikrofon brüllten und einem im Jahr 1983 "Black Betty" von Ram Jam und Kiss um die Ohren hauten, hatten meines Erachtens genau so den Trend verpennt wie die öffentlich-rechtlichen Popwellen und wollte ich nichts zu tun haben...

Also schaute ich mich in Frankfurt um: Bei meinen fast regelmässigen nächtlichen Besuchen im "Cooky's" fielen mir zwei süsse Schwestern auf - Denise und "Michelle" (sie hat einen anderen Vornamen...) - beide mit holländischem Nachnamen, was mich dann noch so ganz nebenbei faszinierte. Der Punker (der ich damals war), quatschte sie also an. Radio und so, einfach mitmachen, mit moderieren. Michelle sah nicht nur verdammt gut aus, hatte auch Ahnung von (guter) Musik, eine gute Stimme und war letztendlich einverstanden. Nur zum Sendestart war sie noch nicht verfügbar.
Blieb noch Pieter Caligula, jener Friseurlehrling, der abends bei mir in der Disco auch mal auflegt hatte und zumindest gute Musik mochte und sammelte. Und Michael Bethge, den ich wegen Adresse (des Senders) und DX-Nachrichten anging - man kannte sich ja noch seit 1969 oder so... Eine Kombination WWDXC/Radio Victoria hielt ich für gut und würde beiden Publicity bringen.

Dann die Suche nach einem Namen... von Beginn an wollte ich etwas "weibliches" haben - so wie Caroline oder Veronica. Da blieb nicht viel. Eleonore von den Turtles, das ich 1974 für meinen UKW-Piratensender benutzt hatte (dessen Endstufe wegen nicht angepasster Antenne dann verglühte)?
Ich sichtete meine Plattensammlung... "Victoria"! Ein kleinerer Hit der "Kinks" (die ich sehr mochte) aus dem Frühjahr 1970, warum nicht?
Die Kinks lieferten zudem noch ein Indikativ : Das der "Partyline", einem unserer Programme - ein fast vergessener Hit aus 1967...

Den Namen hatten wir also. Und "Victoria" stand ja auch irgendwie für "Sieg". Frei interpretiert - Radio Victoria bekommt eine Lizenz, siegt über das öffentlich-rechtliche Radiosystem oder was auch immer... noch etwas konfuse Vorstellungen. Vielleicht wären wir sogar so erfolgreich, dass wir als Alternative - nur auf Kurzwelle - auch überleben könnten?
Kurzwelle, warum nicht ? Damals wurde sogar versucht, die Kurzwelle salonfähig zu machen. Siehe der Versuch von Wolfgang Scheunemann, mit "wwh - weltweit hören" sogar kommerziell durch Abos und am Kiosk eine Fachzeitschrift für solche Hörer zu etablieren. Mit ihm verband uns eine (weitere) Freundschaft und wir bekamen auch von dort später viel Unterstützung. Michelle und ich besuchten ihn einmal in Köln, wo er sein Büro hatte und redeten über neue Pläne von Victoria und die Kurzwellenszene... (dazu später mehr).

Das Equipment stand, es wurden Billigsticker gedruckt und T-Shirts. Dazu eine kräftige Anleihe bei dem Mann von der Videothek, wo ich damals die "Raubkopien" abholte (verjährt...). Sonst wäre Radio Victoria nicht in den Äther gekommen, zu allem reichte das Geld eben nicht. Die Investition fliess durch die (wenigen) Einnahmen durch den Hörerfanclub und die verkauften Sticker und Shirts dann einigermassen zurück. So um die 800 DM dürften heute noch offen sein... verjährt. Und mit einer auf Zeitungspapier gedruckten neuen Musikzeitschrift namens "music news", die ich zufällig am Kiosk fand, schloß ich gleich ein Abkommen ab: sie waren einverstanden, unsere "Super 20" und die "Tip-Parade" abzudrucken samt Frequenz und Sendezeit - und wir machten in Spots umgekehrt Werbung für "music news". Das dürfte genug Publicity vom Start weg geben...

Insofern alles gut vorbereitet und durchdacht. KÖNNTE WAS WERDEN. SOGAR ERFOLGREICH WAR "DRIN".
Nur ich war dann ungeduldig, wollte nicht länger warten. Stimmen hin oder her, erstmal Musik. Nicht nur die trendsetting, sondern auch Oldies (als Musikfachmann, langjähriger DJ und Sammler kannte ich mich da recht gut aus) in der "Pophistory" und DX- und Free Radio-News, das würde am Anfang reichen...

Dann kam der denkwürdige Tag - die Sendungen wurden circa 14 Tage vorher produziert und auf dem Postweg nach Milano geschickt, an die Studioadresse von Radio Milano International direkt.

Und dann kam der Samstag, 9:00 Uhr, 17. September 1983, 7295 kHz.
Und da sass anscheinend so ein Irrer vorm Mikrofon und sprach von abgedruckten Charts, hatte eine Super 20 parat, sprach von regelmässigen Sendungen (!), jeden Samstag und Sonntag (!) vier Stunden und hatte auch gleich Sticker und T-Shirts und einen Hörerfanclub im Angebot. Volle Breitseite eben.

Trotz aller Unzulänglichkeiten: Es schlug ein wie eine Bombe. Bei aller berechtigten und unberechtigten Kritik - da war plötzlich WAS GANZ ANDERES im Äther. Und in den kommenden Wochen besonders von vielen Hobbypiratensender-Machern recht angefeindet, war der gute Roger Kirk doch in dieser Szene nicht verwurzelt (die Piratenfunker kannten sich alle untereinander und mit richtigem Namen...). Mit keinem von denen hatte ich Kontakt (und wollte es auch nicht). Die wurstelten da vor sich hin und machten ihren jeweiligen Ego-Trip im Äther. Und feierten sich gegenseitig. Kindisch, infantil, ohne Ziel und Perspektive. Da kam es dann unweigerlich zu einigen Verwerfungen zwischen Victoria und dem "Rest der Szene". Und ich betonte immer, dass Victoria legal sei und keine Hobbypiratenstation, wenn auch mit Sympathien für die Szene und besonders zu den schmerzlich vermissten Offshore-Sendern.
Aber gerade eben war nach drei Jahren Schweigen Radio Caroline mit einem neuen Schiff zurückgekommen, mit sattem Signal auf Mittelwelle, einem riesigen Antennenmast auf der "Ross Revenge". Ronan O'Rahilly hatte es doch tatsächlich wieder geschafft. Ich hatte "am Rande" und zur Verschwiegenheit verdonnert, die Anfänge im spanischen Hafen von Santander mitbekommen, die Streitigkeiten unter den amerikanischen Investoren (ergab später Laser 558) und glaubte schon gar nicht mehr daran. Ostern 1983 als letzter Starttermin war verstrichen... Aber Caroline auf 963 kHz ("3-1-9") war da. Einen Monat vor uns. Und auch die "Voice of Peace" vor Israel (dem bis dahin einzig verbliebenen Offshore-Sender) war plötzlich auf Kurzwelle zu hören - 6240 kHz.Und auch Victoria...viel, viel kleiner und unbedeutender, aber auch irgendwie, irgendwo ein Zeichen im Äther. So wollte ich es verstanden wissen.

Victoria bis zu einem gewissen Grad sicherlich auch ein "Ego-Trip". Wollte ich mir selbst da ein Denkmal setzen oder so? Genau weiß ich es heute nicht mehr, sicherlich ein bißchen von allem...
Aber die Erfahrung zeigt, dass ein Radioprojekt ohne einen "Macher", der es von "hinten anschiebt", ohne Chance ist. Einer muss lenken, denken und die Fäden in der Hand haben. Im Falle Victoria war ich es, Victoria war meine Idee, mein "Kind", meine Initiative und mein Aushängeschild. Was auch immer...
Hätte es meinen Ehrgeiz nicht gegeben, wäre Radio Victoria nie in den Äther gekommen. So hiess es eben: Sich durchbeissen... und zurückschiessen.
Ich wollte das Ding durchziehen, war stink- und stocksauer auf HR3 und 90% der öffentlich-rechtlichen Sender und wollte "meine Alternative" in punkto MUSIK im Äther sehen und hören.
Binnen weniger Tage boten drei Leute ihre Mitarbeit an: Wolfgang Werner aus Frankfurt, den wir mit seiner "Rockoverture" einbauten, Horst Garbe (plus Kuh Elsa) aus Bonn (damals auch bei BNL, was wir nicht wussten), dem wir sonntagmorgens "Musik-Musik-Musik" gaben sowie Frank Herbers. Pieter Caligula lieferte total zerfaserte Moderationen ab, er konnte sich einfach nicht konzentrieren und war der berühmte Schluck Wasser in der Kurve - wir haben's trotzdem ausgestrahlt. Und am 29. Oktober endlich, endlich UNSERE MICHELLE.
Im Nachhinein sei gesagt, dass ich mir Radio Victoria ohne Michelle nicht vorstellen könnte. Sie war die heimliche Seele des Senders, bezauberte mit ihrer Stimme und die Doppelmoderationen von uns beiden waren nur köstlich. Beim Anhören der alten Mitschnitte lache ich heute noch Tränen... Es wimmelte von eindeutigen Zweideutigkeiten - aber nie unter der Gürtellinie!
Nebenbei bemerkt: auch in punkto Doppelmoderation war Victoria der Zeit voraus - siehe Horst Garbe, der seine fiktive Kuh Elsa mit einbaute, oder eben Michelle & Roger. Sowas war damals auch nicht bei den ARD-Stationen zu hören.

Ich war jedenfalls stolz, so ein Talent wie Michelle "entdeckt" zu haben. Und um allen Verdächtigungen vorzubeugen: Wir hatten nie etwas miteinander... Ich habe Michelle als "zweiten Mann" sozusagen überall mit eingebunden, aber eine tiefere Beziehung hätte dem Projekt geschadet (wie die Erfahrung allgemein zeigt). Ich habe sie aber genauso angehimmelt und geschmachtet wie eigentlich alle unsere Hörer. Da trafen schon richtige Liebesbriefe und Nachfragen nach Fotos usw. ein...

Es ging rasant aufwärts... Hörerfanclubmitglieder über hundert (das reichte zwar bei weitem nicht), Berichterstattung von "HörZu" bis über jedes DX- und Radiomagazin, aus Holland meldete sich "FRM - Free Radio Magazine" von Jos (denen ich regelmässig Artikel schrieb). Der Name Radio Victoria und mein Name waren plötzlich in aller Munde und bekannt. Jeder Sender hatte (auch später) mal mindestens irgendwie was davon gehört. Sagenhaft.

Auch Radio Time, wohl etwas "eifersüchtig" geworden durch die neue Kooperation mit Milano, meldete sich. Dort zählten die Programme des "International Service" (nachts auf UKW) zu den beliebtesten Programmen (ich muss mich auch mal loben...!) und man wollte mich nicht verlieren (!). (Diese Produktionen sowie die "Soundmixture"-Programme für den UKW-Service von Radio Milano International liefen auch noch nebenbei mit... jede Menge Arbeit).

Im Oktober/November 1983 war Victoria dann zusätzlich und parallel (wenn auch leicht zeitversetzt) via Radio Time/Florenz auf 7195 und 7105 kHz zu hören, sowie via Radio Milano International sogar - recht gut hörbar - auf Mittelwelle 1301 kHz. Victoria auf VIER Frequenzen gleichzeitig, das hatte es auch noch nie gegeben... Und via Milano wurde sogar noch auf Kurzwelle 9810kHz (31-m-Band) ausgestrahlt und getestet.

Die ersten Auseinandersetzungen und Konflikte gab es auch : In der Konkurrenz-Organisation "ADDX" (zur AGDX und dem dort vertretenen WWDXC) stand ein wenig netter Kommentar über einen "mittelmässigen Disc-Jockey, der um Geld bettelt", was in der Folgezeit zu Breitseiten von mir und einer tiefen innigen Hassliebe führte...
Und auch die Amateurfunker entgleisten: unsere Sendungen über 7105 kHz wurden - einmalig - massiv durch Träger und Zwischenrufe wie "was soll der Quatsch" gestört - obwohl wir nicht im Amateurfunkbereich sendeten (der damals bei 7099,9 kHz endete). Ein harscher Brief an den DARC (Deutschen Amateur Radio Club) auf diese unberechtigten Übergriffe wurde mit einem lapidaren Schreiben beantwortet, dass man von nichts wisse und es nicht glaube... Arschlöcher!

Hello again: Wolf Harranth und Roger Kirk bei der EDXC-Konferenz 2003

Nicht zu vergessen, Wolf Harranth vom DX-Programm von Radio Österreich International, der uns auch mit einer etwas süffisanten Berichterstattung begleitete. Ich wusste, dass er Kinderbuchautor war und zur Buchmesse in Frankfurt mit einem Stand anwesend... Ich also hin und direkt auf der Buchmesse ihm ein zehnminütiges Interview gegeben. Und überlegen, wie ich mich fühlte, dabei kräftig ausgeteilt. Harranth blieb etwas die Spucke weg und sicherlich hat er mich darauf in die Kategorie "was ein Irrer..." eingestuft. Vergeben, vergessen, vorbei. Beim EDXC-Treff 2003 in Königstein, wo ich eigens eingeladen wurde, traf ich ihn wieder - und die Stimmung war überaus freundlich. Man erinnerte sich alter Sünden und Aussagen und schmunzelte eben...

Tja, meine Breitseiten, mein Schreibstil und ich am Mikro, wenn es um Kritik ging : beim Lesen und Hören HEUTE mir überaus peinlich. Damals war ich eben überempfindlich und schlug zurück. Alles Idioten und Besserwisser. Hau drauf und Schluss... die meisten davon eben auch aus jener Hobbypiratenszene... die unter Hörerschwund litt. Viele Kurzwellenhörer und Popfans suchten eben nicht mehr die Kurzwelle ab, sondern schalteten gleich uns ein. Die Hobbypiraten sendeten vermehrt erst nach 13 Uhr... Und aus der ehemaligen DDR hatten wir hunderte von Fans, die uns auf Grund des guten Signals natürlich zuallererst hörten. Woche für Woche trafen fast waschkörbeweise Fanbriefe ein, die wir auch beantworteten. Was ein tiefes Loch ins Budget riss, denn die DDR-Hörer konnten bekanntlicherweise keine "IRCs" oder sonstiges Rückporto beilegen und waren permanent am Betteln wegen Stickern usw. Wir machten aber möglich, was möglich war.

Radio Victoria wurde von mir "fein justiert" - das Musikangebot mit etwas (besserem) Rock (Wolfgang Werner), den persönlichen Musikauswahlen der Gast-DJs, von denen wir plötzlich eine Menge hatten. Und konträr dazu UNSER Anspruch auf trendsetting music - mehrheitlich New Wave, New Romantic und so früh wie möglich auf unserem Plattenteller : In der Super 20, in der Tip-Parade, der Mittagsdiscothek, der Infoshow. So war die Balance gegeben. Und unser DX-Programm mit gezielten Infos und Mitschnitten über die Offshore-Sender (Laser 558 war nun auch vor der britischen Küste angekommen) und den anderen Hobbypiraten war bald überaus populär. Mit Radio Carousel aus Drogheda / Irland verband uns eine gewisse Freundschaft samt Programmaustausch und mit der neu gestarteten religiösen Privatstation KNLS Anchor Point aus Alaska, die auf Frequenzsuche waren (Sendungen in ukrainischer und russischer Sprache) hielten wir Kontakt und stimmten sogar Frequenzen miteinander ab... Unglaublich.

Apropos Frequenzen : in meinem möblierten Zimmer war kein Telefonanschluss. Damals gab es rote Telefonkarten bei der Bundespost zu kaufen, die man in das öffentliche Telefon reinsteckte und abtelefonierte (den Vorläufern unserer heutigen Prepaid-Karten für Handys). Solche kaufte ich regelmässig und fuhr zum Frankfurter Hauptbahnhof, um von dort Dario anzurufen und die neuesten Meldungen auszutauschen. Sonst hätten wir nie rechtzeitig erfahren, dass Milano auf 9810 (später auch 7145 und 7230) testet.
Und um nachzufragen, ob die Kassetten rechtzeitig eingetroffen wären. Es war immer ein Vabanque-Spiel - vierzehn (!) Tage vorher musste abgeschickt werden, entsprechend mussten alle zuliefernden DJs umdenken und sich die Daten der Sendung auch merken. Die Post war langsam, ein- oder zweimal kamen die Programme auch nicht rechtzeitig an und ein - in weiser Voraussicht - von mir vorproduziertes Ersatzprogramm mit nur Musik und sonst nichts musste ausgestrahlt werden.

Auf unserer Hauptfrequenz 7295, die ich ständig abhörte, war vor unserem Sendestart bis circa 8:30 Uhr Radio Free Europe aktiv. Oft liessen die einfach ihren Senderträger stehen, was unser Signal natürlich wegdrückte. Ich also in den Anfangstagen oft "aus dem Bett gefallen", zur nächsten Telefonzelle eine Strasse weiter und mich (am Wochenende...) mit der technischen Abteilung von RFE/RL in München verbinden lassen. Ich trieb sogar einen freundlichen US-Amerikaner auf... "would you please be so kind to switch off your carrier which is blocking our frequency...?" "There's no carrier, we're off"... "sure there is, I can hear it clearly."... "okay, I take a look".
Zurück in der "Kemenate" und reingehört - der Träger auf der Frequenz verschwand in der Tat. Die Zeremonie musste noch an einigen Wochenenden wiederholt werden ("oh, you again... what's your problem?"), aber dann hatten wir es einigermassen im Griff.

Überhaupt - wer da genau zuhörte, konnte u.a. auch russische (!) Panzerbesatzungen in USB miteinander kommunizieren hören. Nach dem bißchen, was ich verstehen konnte, offensichtlich auf Manöver irgendwo in der DDR... Nachmittags war plötzlich Radio Berlin International (DDR) bereits mit einem satten Träger - lange vor deren Programmstart - hörbar. Und, und, und. Im allgemeinen war die 7295 aber eine gute Frequenz, die Sendungen über Radio Time stellten wir bald wieder ein, weil deren Signal (abgesehen von der 7195) einfach zu schwach war und doppelte Kosten für Porto und Kassetten taten schon weh. Ich lag dauernd auf der Lauer, um gute, teure metallic 120-Minuten-Kassetten zu erwischen. Die 7195 von Radio Time störte zudem dann den RAI Due TV-Umsetzer auf dem Monte Mugello bei Florenz und musste eingestellt werden.
Die Kurzwellenaktivitäten von Radio Time, neben Milano dem einzigen relevanten Vertreter aus Italien auf Kurzwelle, kamen im übrigen von einem freien Mitarbeiter der Station: Stefano Manelli, der auch heute noch mit einer Station auf Kurzwelle aktiv ist.

Im Frühjahr hatte sich die Mitarbeiterzahl von Victoria sehr erhöht - und wir waren in aller Munde. Leute wie Volker Stenner, Roland Fischer, Bernd Schmellenkamp, Jürgen Poppe, Matthias Kropf, Thomas Lustig, Patrick Lynen (alias Tim Mix), Marcus Wöss, Herwig Macht verstärkten das Team und machten entweder Gast-DJ-Shows oder regelmässige Sendungen. Mit KNLS, Radio Carousel und der FRM aus Holland sowie wwh hielten wir engen Kontakt - und unsere Michelle war natürlich populär und beliebt.
Michelle sass dabei die ganze Zeit zwischen allen Stühlen. Zum einen bei einer Fluglinie schwer involviert und öfters mal kurz auf einem Trip nach Hawaii, Kairo oder Rom... als Freiflug, dann gesanglich (!) und moderativ : Ich hätte es gern gesehen, wenn sie später beim Privatfunk untergekommen wäre, Talent und Stimme hatte sie ja überaus reichlich.

Gesanglich? Ein gewisser Markus - bekannt noch von "Ich Will Spass, Ich Geb Gas" - war öfters Gast im Cooky's (und mit dem "besser etwas Deutschstämmiges aus dem Hintertaunus" in einer unserer Moderationen gemeint). Lang, etwas schlaksig, ich mochte ihn damals überhaupt nicht. Obwohl ausgerechnet sein "Ab Und Los" in unserer ersten Ausgabe der Super 20 sogar auf Platz 2 stand.
Ein paar Wochen später war aber - nachdem die Scheibe nicht so richtig lief - ein Karriereknick zu verzeichnen. Und vorher war die im gleichnamigen Kinofilm ("Gib Gas"...)von der Plattenfirma angedachte NDW-Liaison mit Nena auch nicht eingetreten - die hatte damals, was niemand wusste, den viel älteren Udo Lindenberg zum Freund. Und auf "Kleine Taschenlampe brenn" musste dann ein Mädel aus Rodgau im Duett mit ihm singen (hatte ich mal später bei der Welle Untermain in Aschaffenburg als Interviewgast).
Markus hatte damals weder Führerschein noch Auto und war auch noch Nichtraucher - die von mir sowieso als etwas abartige Menschen (damals) betrachtet wurden... (Michelle rauchte übrigens auch nicht). Die Zigarette auf der Hülle von "Gib Gas" hatte man ihm einfach ins Gesicht gesteckt, für's Coverfoto.
Nun, es wurden neue Wege gesucht - und da Michelle sowieso abends im Cooky's von allen umlagert wurde, blieb es nicht aus, dass die beiden sich auch kennenlernten. Und das war schon im September 1983 so, zum Sendestart. Man versuchte was Neues und damit bei der CBS zu landen: "Spionage" hiess die angedachte Band von Michelle & Markus im Duett, mit einigen überaus netten und interessanten Titeln (wir spielten mal exklusiv einen davon im Programm). Es gab sogar erste Auftritte in Discotheken (Idar-Oberstein).
Doch dann tauchte wenige Monate später ein gewisser Mark Jefferies an Markus' Seite auf, blondmähniger Brite, der damals in einem Edelbistro am Opernplatz kellnerte (!). Sah aber aus wie Nick Beggs von Kajagoogoo. Mit ihm zusammen wollte Markus nun ein anderes neues, englischsprachiges Projekt versuchen... Damals neigte sich die NDW dem Ende zu, und fast alle probierten sich dann mal auf Englisch - Hubert Kah, Robert Görl, Peter Schilling usw.

Das Ende vom Lied war, dass "T.X.T." entstand, und ich, etwas stinkig, deren eigentlich gute Scheibe "Girl's Got A Brand New Toy" vom Plattenteller verbannte. Später - beim ersten Sendeversuch von "meinem" Radio Ko(h)libri auf 94,2 MHz UKW im Raum Offenbach, war es dagegen fast die meistgespielte Scheibe im Programm. Die damals erschienene LP enthielt noch einige gute Titel, aber der Nachfolger "Cold As Ice" war bereits nur mittelprächtig in den Charts. Und Jefferies - so erzählte mir später jemand von der CBS - musste man dauernd ein Sauerstoffzelt nachschleppen, weil doch "etwas abhängig"... Zudem lief dann damals (so etwa Jahreswende 84/85) auch eine recht seltsame Promotionaktion für den Hit, die eigentlich aus Schmähungen und Warnungen á la "spielt die Platte von diesem Idioten nicht" per Post unterwegs war - sogar bei Radio Victoria im Postfach... Ich war überrascht, bei der CBS wusste man offiziell von nichts und man hatte u.a. sogar mich in Verdacht. Es war schon etwas undurchsichtig und seltsam und führte auch zu einer leichten Verstimmung zwischen Michelle und mir. Nun ja, auf der einen Seite hatte ich wirklich nichts mit den blöden Promobriefen zu tun und ganz andere Sorgen, Radio Victoria in der Luft zu halten, auf der anderen Seite mochte ich den Typ damals wirklich nicht. NDW spielte ich sehr gern, aber das waren dann Sachen von D.A.F, Joachim Witt, Ideal, Neonbabies oder auch Nena... Vielleicht war es jemand aus seiner ersten Band "Nyloneuter", die er damals wegen der NDW-Solokarriere verliess? Wir wissen es nicht und das Ereignis war auch nicht so bedeutend, um in die Geschichte einzugehen. Im Prinzip war Markus damals ein netter, etwas schüchterner und zu lang geratener Typ, der dann nach "T.X.T" einen der ersten Karaoke-Läden in Frankfurt aufmachte. Schwamm drüber.

Das Leben besteht eben nicht nur aus Freude, Friede, Eierkuchen...

Zurück zur Entwicklung von Radio Victoria: Im April gab es nochmal einen Ruck: Dieter Hermans von Radio Benelux (BNL) in Eupen/Ostbelgien meldete sich - ob wir nicht Lust hätten, unsere Programme dort auszustrahlen. Natürlich hatten wir. Was ich zum damaligen Zeitpunkt nicht wusste, war der Umstand, dass Hermans dem Besitzer der "Barraque Michel" (Sender und Studio von BNL) irgendwas versprochen hatte, um den Sender zu "übernehmen". Nachrichten über unzufriedene und ausgeschiedene Mitarbeiter erreichten uns zwar, aber wir standen da zwei Wahrheiten gegenüber und konnten aus der Distanz nicht beurteilen, was abging. Hermans nutzte im Prinzip unser Programm, um Sendelücken zu füllen. Und bekam im Gegenzug dann auch einmal im Monat Sendezeit mit einem vorproduzierten Programm über Kurzwelle.
Auch uns gegenüber war Hermans selbstsicher und überzeugend: man sprach von einer weiteren kommerziellen Verwertung - "BRAVO" plante damals, per Medien aktiv zu werden. Es wäre durchaus möglich gewesen, gegen "viel Geld" die Bravo-Charts zu produzieren, oder sogar einen gemeinsamen Sender "Radio Bravo" ins Leben zu rufen. Und, und, und... Ich war recht angetan, das war eine Möglichkeit! (Später entstand dann "Bravo TV").
Und die Zusammenarbeit mit BNL war dann doch nicht so schlecht. Sie brachte uns mehr als BNL die Kurzwelle; bis weit hinein nach Nordrhein-Westfalen waren wir zeitversetzt auf UKW (101,0 , später 103,3 MHz) jeden Montag und jeden Dienstag (ab 21 Uhr, entsprechend 9 Uhr morgens am Wochenende über Kurzwelle) dort im Äther zu hören. Und damit neue Fans... Zwar mehr Kosten und Arbeit für Kassetten, Porto und kopieren, aber warum nicht.

Die Zeit zwischen April und Ende Oktober 1984 darf man rückblickend als "Zenith" von Radio Victoria bezeichnen.

Viermal im Jahr erschien unser "Hörerfanclub-Fanzine", aus dem dann Anfang 1985 das Free Radio-Fanzine wurde. Was eine Arbeit! Jede Seite wurde auf einer Schreibmaschine heruntergehauen, fotokopierte (verkleinerte/vergrösserte) Illustrationen aufgeklebt, und dann die Seiten nebeneinanderliegend zusammengeklebt. Wehe, wenn man sich verrechnet hatte und die falsche Seite neben einer anderen lag - das galt dann auch für die Rückseite. Ich suchte mir einen Kopiershop irgendwo im Frankfurter Norden, der billig war. Dort vor Ort dann selbst alles verkleinert und auf die fertigen Kopien verkehrt herum reingelegt, dann die anderen Seiten draufkopiert. Und als alles fertig war, mit einem großen Klammeraffen die Klammern hereingehauen. Da ging ein halber Tag nur für den "Druck" drauf. Dann zig Umschläge selber beschriftet, zig Briefmarken abgeleckt und alles in den Briefkasten. War jedesmal eine wüste Arbeit. Mitglieder mehr als dreihundert...

Verkleckert übers Jahr doch so um die 6000 Mark Einnahme, das war schon was. Würde sich RV mit dem Konzept "Kurzwellenmusikstation" gar durchsetzen und überlebensfähig bleiben ? Ich kündigte zwar mehrmals an, nur bis Ende 85 senden zu wollen, die Weichen waren aber innerlich auf "weitermachen" gestellt, denn vom ersehnten Privatfunk in Deutschland war noch nichts zu hören. Nur reichte das Geld bei weitem nicht: der Druck verschlang so etwa 500 DM, das Porto für die Heftchen nochmals 1200 DM ingesamt, das Porto für die Kassetten (bzw. Transport, siehe unten) so um die 1000 DM, der Kauf der Kassetten ebenfalls über 1000 DM. Plus Sendermiete, da blieb nichts übrig... von wegen "um Geld betteln", bzw. "Taschen voll stopfen". Einige von der ADDX (besonders die...) konnten anscheinend nicht richtig rechnen.
Und die Post nach Milano... Damals wirklich unter aller Sau. Selbst 14 Tage Laufzeit für ein Mini-"Päckchen", immerhin teuer als "Brief" frankiert, waren oftmals nicht genug. Dario berichtete, dass die Dinger manchmal erst am Freitagabend vor der Sendung eintrafen...

Italien eben, das Land des liebenswürdigen Chaos. Ich suchte nach einer neuen Möglichkeit und fragte einfach mal LKW-Fahrer, ob die nicht einfach unser Päckchen mit Kassetten "so" mitnehmen dürften...? Sie verneinten, nannten mir aber den Namen einer besonders günstigen Spedition. Ein atemberaubend hübsche Sachbearbeiterin, ich war entzückt... und lieferte künftig meine Päckchen dort ab. Ganze zwanzig Mark kostete mich der Spass Woche für Woche, das konnte man noch verkraften.

Jetzt klappte es, wir konnten auch mal riskieren, nur 7 Tage vorher alles loszusenden. Nur mit Horst Garbe hatten wir Probleme, dass seine Bänder auch rechtzeitig bei uns waren, wir mussten öfters den "Fleck" auf der Kassette frei lassen und dann brutal hinterher aufspielen. Wir haben ihm dann mal in einem etwas geharnischt gehaltenen Brief vorgehalten, wie man richtig zurückrechnet, um das letztmögliche Datum seiner Abgabe zu berechnen... das hat er uns eigentlich bis heute nicht "verknust". Denn bei unserer - zufälligen - gemeinsamen Arbeit bei Schwarzwald Radio in Freiburg (1989/1990) herrschte zwischen uns eine etwas kühle Reserviertheit.
Aber Horst Garbe war es, der gekonnt den ersten (und einzigen) Hörerfanclubtreff in Bonn (ausgerechnet im örtlichen DARC-Clubhaus) arrangierte. Auf jeden Fall von Horst Garbe gut ausgeschildert fanden wir (Michelle und ich) mühelos den Weg in das Innere, wo Horst auch eine Discoanlage aufgebaut hatte (auf der dann dort sogar Sendungen produziert wurden, um zwei Wochen später am 11.11.84 ausgestrahlt zu werden). Plötzlich waren wir von auffallend vielen ex-BNL-Mitarbeitern umringt... was war los? Bei Radio Benelux hatte es wegen des Programms einen Aufstand gegeben und der Sender schwieg. Hermans war auch da, kündigte aber eine Fortsetzung an und hatte grosse Pläne. So wie er (immer) sprach, recht überzeugend. Auch von einem starken MW-Sender, den er irgendwo in einer Hütte stehen habe...

Mittelwelle war schon sehr interessant, hatten wir doch schon seit Monaten heftigen Brief- und Kassettenkontakt mit einem gewissen John England aus Texas. Der hatte uns (aus den USA!) gefunden und angeschrieben und berichtete von seinem Projekt "WRLI - Wonderful Radio London International", das als drittes Radioschiff vor die Themsemündung kommen wollte / sollte. Dort in Texas und über einen mexikanischen Mittelwellensender (XERF) und mit Programmen von Ben Toney (dem ersten Programmchef des legendären Radio London "Big L" Dez 1964-Aug 1967 vor England) wurde bereits ein Testprogramm ausgestrahlt. Wir berichteten, brachten Mitschnitte und verhandelten... Das Konzept war tatsächlich, durch viele Untermieter (und zwei Frequenzen auf Mittelwelle) sowohl einen Popsender als auch einen (oder mehrere) religiöse Anbieter aus dem amerikanischen "bible belt" die neue Offshore-Station in den Äther zu bringen (729 und 1566 kHz). Nun, gegen den erzkonservativen "bible belt" hatte ich etwas, denn meistens handelte es sich dabei um verzückte Einzelidioten, die ihre spezifischen Erfahrungen mit irgendwelchen Erscheinungen hatten und nun "bekehrt" im Äther um Spenden aufriefen. Aus dem Popsender sollte dann -zweiter Anlauf - eine Country-Station werden, auch nicht unser Geschmack. Und wenn, welche Frequenz? Viel war ja durch die vielen neuen BBC-Lokal- und ILR-Privatradiostationen nicht mehr übrig...

Wir entschieden uns für die eine "noch freie" 1566 kHz (192), einst von Veronica als Stammfrequenz bis Mitte 1972 benutzt (Achtung: neue Frequenz nach der Neujustierung der Mittelwelle auf ein einheitliches 9-kHz-Abstandsraster Ende der 70er Jahre - aus 1562 wurde 1566...).

Und wir sagten, ein kommerzielles Programm in Englisch/Deutsch NACH Sendeschluss - also ab etwa 20 Uhr - unter dem Namen "Radio Victoria" zu produzieren. Es wurden sogar schon erste Jingles hergestellt: in Erinnerung an meinen alten Brieffreund T.V.Shields von Radio Scotland als "swinging to you on one-nine-two, this is victoria". Nach RNI 1970 erstmals wieder ein Offshore-Sender mit deutschen (u.a.) Programmen, das war doch was!
Ich biss mir auf die Lippen - zum Glück - um nicht vorher etwas über den Äther zu verraten. Michelle war eingeweiht, aber von einem Leben an Bord eines Sendeschiffes nicht gerade begeistert. Beruhigte sich erst wieder, nachdem klar wurde, dass es sich dann doch wohl um vorproduzierte Sendungen handeln würde. Den Mann an Bord, der die Sachen in die Bandmaschine legte und die Sendermiete müsse man bezahlen. Alles klar also für Radio Victoria von 20:00 bis 02:00 Uhr auf 1562/192 metres...
Aber gewaltige Investitionen standen bevor: ein besseres Sendestudio musste wohl her, neue Behausung, Werbekunden... Und die Versorgung? Ich machte WRLI den Vorschlag, von der autonomen Insel Sark (im Ärmelkanal, neben Jersey, Guernsey) aus alles vorzunehmen - da gab es 1969/1970 bereits Versuche, von dort aus einen Offshoresender zu starten, von denen ich wusste. Die "Lady of Sark" war bekannt dafür, gegenüber der britischen Regierung ähnlich "resistent" zu sein wie die Isle-of-Man (wir erinnern uns: Caroline North vor der Isle-of-Man wurde erst 15 Tage nach dem 14. August 1967 "illegal", weil das Parlament der Insel sich weigerte, den Marine Broadcasting Offences Act anzunehmen).
Der Vorschlag wurde angenommen. Man würde einen Weg finden, unter der "Protektion" der Lady die Versorgung durchzuführen. Und das Sendeschiff sollte ein besonders hochseetüchtiger und breiter Trawler wie die Bevorratungsschiffe der Ölplattformen sein.

Insofern erschütterte es mich nicht weiter, dass wir ab November 1984 wieder auf der Kurzwelle allein waren, UKW war vorbei. Seltsamerweise bot uns kein anderer UKW-Sender aus Ostbelgien - wie Henri Radio z.B. - eine Mitarbeit an. Nun denn... sei es drum.

*** Auf Verlangen Dieter Hermans wurde diese Textpassage vorerst entfernt. (13.02.2011 21:15) ***

Chefs unter sich: Kirk und Hermans(BNL). In der Mitte Michelle


Es löste bei mir ungeheure Aktivitäten aus. Ähnlich wie bei Caroline und WRLI musste da sicherlich ein Partner her - eine religiöse Organisation zum Beispiel. Denn bei WRLI kam man nicht vom Fleck, man sammelte Zusagen, um ein Programm zusammenzustoppeln, und offensichtlich auch Geld, das vorher zwecks Ankauf des Schiffs (die MV Sea Level oder später die "Four Freedoms") auf den Tisch gelegt werden sollte. Das hatten wir nicht, und es behagte mir auch nicht. Das Resultat wären zwar zwei Frequenzen und ein Programm aus vier Stunden dies, drei Stunden was anderes und vier Stunden jenem und viel "Religion" der sektiererischen Art gewesen ("Voice of Gospel"). Aber das "Wonderful Radio London" von damals (64-67) wäre wohl irgendwie auf der Strecke geblieben.

Aber jetzt der "eigene" Mittelwellensender. Ich vereinbarte mit Hermans ein Treff in Hotel Frankfurter Hof einige Wochen später, um alles zu bequatschen und unter Dach und Fach zu bringen.
Ich also aktiv... wer war damals bei RNI alles Werbekunde? Kent als Zigarettenfirma und "Kippenproduzenten" waren wegen der Werbeverbote auch potentielle Kunden. Vielleicht diesmal? Mittelwelle war ja attraktiver und besonders in England und Holland von der Beliebtheit her vor UKW (nur Skandinavien hatte sehr frühzeitig und direkt nach dem Ableben von Radio Mercur / Radio Nord auf UKW und die "dritten Programme" mit dem Popmusikersatz gesetzt. So kam die komplette Mannschaft von Radio Mercur dann bei Danmarks Radio 3 unter - und das war bereits Sommer 1962...).
Und da war noch IBERIA als Luftlinie. Damals auch Werbekunde bei RNI... Frech, wie ich war, rief ich an, erinnerte an alte Zeiten. Es war sogar Interesse da...! Mann oh Mann... Da braute sich was zusammen. Ich erwählte die Jungs von AWR (Adventist World Radio) als Partner. Deren Programm fand ich gut und hörte ich öfters - die hatten mit einem 10 kW-Kurzwellensender im italienischem Forli gerade begonnen und sendeten auf 7145 kHz. Also auf nach Darmstadt, in den Elfengrund, dort war der Sitz für Deutschland.
Ich war angenehm überrascht, wir sprachen nur englisch miteinander. Es gab - wie bei einer ganz normalen amerikanischen kommerziellen Station - einen richtigen Programmdirektor und ein "Format". Donnerwetter. Das Gespräch endete sehr freundlich, man wolle sich ernsthaft Gedanken machen, auch die Mittelwelle zu nutzen - gerade über einen "Seesender", mit dem durch die Wasseroberfläche verstärkten Signal was nicht zu verachten war...
Also wieder 1566 kHz und möglichst vor WRLI in den Äther kommen. Ich polte alle Vorbereitungen also um... Nächste Fahrt nach Holland, war das letzte Mal 1976 dort (und hatte die RNI-Schiffe im Hafen von Slikkerveer gesehen). Eine Wohltat, ich atmete wieder Luft... das "stickige" Deutschland mal hinter mich lassend. Und in Slikkerveer suchte ich nach einem Schiff (!).

Die "Gabrielle" hatte es mir angetan, zur Verschrottung freigegeben, aber mit Schornstein (!) und entsprechender Breite erschien sie mir als hochseetüchtig. Zwar eine Nuss-Schale, aber mit starken Motoren und mal als Schlepper eingesetzt. Allerdings :1901 bereits irgendwo in Brandenburg gebaut. Entsprechend rostig war das alles - aber hatte Radio Delmare nicht auch so angefangen damals?
25.000 Dutch Guilders war der Kaufpreis, die ich zwar nicht hatte, mich aber auch nicht umwarfen. Schon irgendwie durch Vorab-Werbevereinbarungen aufzutreiben... Man konnte sicherlich in Holland heimlich eine T-Antenne (wie Veronica und Laser 558) anbringen. Oder vielleicht sogar eine Langdrahtantenne mit Ballon, durch den diese in die Luft gehalten wurde und vielleicht sogar 150, 200 mtr in die Luft ragte - musste ein sattes Signal geben (wurde mal von der VoA-Relaisstation auf der MV Courier vor Griechenland erfolgreich ausprobiert, circa 1955, lange vor dem ersten europäischen Offshoresender... und wieder von Laser 730, den ersten Sendeversuchen auf diese Art. Dort waren die Ballons aber einfach weggeflogen... und wenn man dann den Sender nicht schnell genug abschaltete, flog dieser einem um die Ohren!).

Alternativ war für die Gabrielle auch ein sicherer Ankerplatz in der Nord-Adria angedacht; unweit von der (damals) jugoslawischen Isola De Rosoj, wo es 1969/70 einen Privatsender eines italienischen Kaufmanns hätte geben sollen. Frequenz wäre dann 773 kHz ("3-9-0") gewesen, mit Zielgebiet Südtirol, Österreich und Süddeutschland und in Anlehnung an das verhinderte RNI-Projekt "Radio Nova International".

Also Radio Victoria offshore - entweder als 4-Stunden-Programm nachts nach Sendeschluss der "Voice of Gospel" auf 1566 kHz/192 oder als 18-Stunden-Programm von der "MV Gabrielle" tagsüber, mit 1 Stunde Morgenprogramm und 4 Stunden Nachtprogramm von AWR auf 192... die Zukunft war rosig, ich voller Fantasien und Zuversicht. Ich hatte dicke Augen und Eier, eine stolzgeschwellte Brust und lief irgendwie gaga durch die Gegend... Spätestens dann würden die Freunde der ADDX sich schamhaft selbst auflösen und so mancher neidische Hobbypirat sich tief ein Loch buddeln und von oben zuscheissen lassen... (sorry). Dachte ich. Und behielt es diesmal für mich... Zum Glück, ich hätte mich bis auf die Knochen (und tiefer) blamiert.

Fast. Michelle und ich reisten zu Wolfgang Scheunemann nach Köln (wwh-weltweit hören) und weihten ihn ein. Der machte auch dicke Augen, schnappte nach Luft und versprach Unterstützung: "wwh" ging es gar nicht so gut, uns auch nicht, aber wir wollten "wwh" als Werbekunden gewinnen. Victoria offshore - Mann, das war doch was! Und hatte die Deutsche Welle nicht vielleicht noch irgendwo einen ausgedienten Kurzwellensender herumstehen, den wir auf der MV Gabrielle installieren könnten - um ihn dann an AWR unterzuvermieten? Hemmungen hatte ich keine und waren mir immer fremd. Und das deutsche, niederländische oder britische Antipiratensendergesetz war mir auch schnurz.

Das Ende vom Lied? Nun, weder kam WRLI noch der Herman'sche Mittelwellensender. Das avisierte Treffen im Frankfurter Hof platzte. Statt Hermans bekam ich am Empfang eine Depesche mit dem Inhalt "bin verhindert, Treffen irgendwann später". In der Folge blieben allerdings alle Briefe an ihn unbeantwortet und Hörer aus NRW teilten mir mit, dass Hermans fluchtartig irgendwo in der Versenkung verschwunden sei. Seine Adresse existierte nicht mehr, Hermans war offensichtlich auf der Flucht (und tauchte erst über ein Jahrzehnt plötzlich als Polizeiberichtschreiber irgendwo wieder auf)... Es war Ende November 1984 und tiefe Depression machte sich bei uns breit...

Immerhin, die Sendungen via 7295 liefen noch und regelmässig. Insofern trat ein "gewisser Trott" ein. Aus dem stationsgebundenen Hörerfanclub wurde nun (wiederbelebt) die "Free Radio Association Germany" mit zweimonatlichem Erscheinen. Ich hoffte damit an etwas mehr Einnahmen, mit einem Heft, das eben über Free Radio, erste Privatradios, Hobbypiraten, Clandestine und Offshore berichtete. Und wollte die Bindung an Victoria damit bewusst auflockern - Überlegung : Wenn die AGDX/ADDX so über tausend Abos hatten, würde mir das mit der FRA Germany sicher auch gelingen (blieb aber weit dahinter zurück...).

Dann die Legende der Seesender, die wir auf Kassette produzierten und ausstrahlten - und nie richtig fertig stellten. Ausserdem mit einigen Fehlern behaftet, wie ich erst hinterher feststellte.

(ANMERKUNG : Es gibt seit zwei, drei Jahren eine von mir richtig akkurat recherchierte und chronologisch aufgebaute Serie über Privat- und Piratenradio, beginnend mit 1929 (!). Diese Geschichte schlägt an Hintergrundinformationen und Zusammenhängen alles, was der geneigte Offshore-Fan gelesen hat. Versprochen... Allerdings schlummert das alles noch wegen - wiederum - Fehlerchen in einer Schublade. War mal als richtiges Buch geplant, werde ich aber bald kostenlos als gif.Datei(en) ins Internet stellen. Versprochen...)

Und dann war da noch Laser 558, im Mai 1984 in den Äther bekommen. Ich rief neben Dario in Milano sowie Time in Florenz auch öfters das MMI-Office in New York an und hatte Roy Lindau, bzw. eine seiner Sekretärinnen am Telefon. "USA today" berichtete groß über den "vollkommen legalen" Seesender, der mit rein amerikanischer Mannschaft und der Schiffsregistrierung in Panama also Radio Caroline Konkurrenz machte. Und es war wie damals 1964/1965: history repeated itself.
Wieder war es Caroline als Bahnbrecher für Free Radio und zuerst im Äther - und mit Laser 558 als "beliebterem" Konkurrenten (wie damals Radio London Big L) einige Monate später direkt daneben, und deren Top-40-Format. Und Top 40 erwies sich selbst im Jahr 1984 als so erfolgreich, dass - wiederum wiederholte sich die Geschichte - die gute, alte BBC dramatisch an Hörern verlor.
Die 80er Jahre waren in vielen Punkten nichts anderes als eine Neuauflage der revolutionären 60er Jahre, auch in puncto Musik. Die "music explosion" von 1964 war 1984 eben New Wave, New Romantic...

Wir vereinbarten eine "Zusammenarbeit". Ich betrieb Monitoring für Laser 558 (deren Hörbarkeit auf Mittelwelle war in Deutschland doch etwas durch den Deutschlandfunk "nebenan" auf 549 kHz in Mitleidenschaft gezogen). Vielleicht kämen via 558 dann mal einige nette Erwähnungen der independent shortwave musicstation victoria... Das ging wochenlang so. Bis ich Ende Januar 1985 dann statt Roy Lindau einen gewissen John Moss an der Strippe hatte. Wollte gerade loslegen und mich auch mal beschweren, weil keiner der US-DJs mal den Namen "Victoria" hatte fallen lassen, da kam von John Moss, der nicht durchblickte, warum ich anrief, die bedeutsame Frage zurück: " ...so, what do you want. Money ?"
Mir verschlug es den Atem. Und ganz plötzlich war mir klar, Laser 558 ging es auch nicht so gut, wie sie immer vorgaben (über Konflikte und Probleme hinter den Kulissen haben die Offshore-Stationen eigentlich nie etwas herausgelassen, wen man auch fragte, es war immer "alles okay". Auch wenn man als "Insider" allgemein wusste, dass man beispielsweise von O'Rahilly nie, nie, nie einen Scheck akzeptieren solle, sondern immer nur "cash". Und Laser 558 wurde so langsam pro Bevorratung durch eine holländische Organisation namens - zufällig? - auch "MMI - Music Media Internationa" von "hinten" aufgefressen. Denn bei jeder (unbezahlten) Bevorratung erhöhte sich (statt Geld) der Anteil an der Deka Overseas Ltd., die das Sendeschiff MV Communicator besass. Wusste damals aber offiziell niemand).

Wir wurstelten bis in den Sommer 1985 weiter. Plötzlich waren wir ohne Vorwarnung über Radio Milano International nicht mehr zu hören. Warum? Gerade eben hatten wir doch die letzte Rate spät, aber immerhin geschickt! War ein Brief samt Geld verloren gegangen?

Ein besorgter Anruf bei Dario.... und der erzählte uns, dass unsere Sendungen zwar immer rechtzeitig ankamen, aber Stationschef Angelo Borra (oder sein Bruder) mussten jedesmal eigens zur italienischen Spedition fahren, um die Kassetten dort abzuholen (!). Und dort - EWG hin oder her - wurde das kleine Päckchen wie ein Staatsgeheimnis behandelt, begutachtet und bewertet. Kassetten, "ncv-no commercial value"...?? Konnte es ja gar nicht geben. Und so musste Milano jedesmal zusätzlich so um die 60 Mark (!) für Zoll berappen - was wir nicht wussten und uns niemand bis dahin gesagt hatte. So war plötzlich eine Summe von etwa 2200 DM (!) aufgelaufen, die Herr Borra berechtigterweise erst mal haben wollte, bevor er den Spass mit Victoria fortsetzte. Überhaupt waren die Träume von Radio Milano hinsichtlich der kommerziellen Verwertbarkeit der Kurzwelle auch nicht eingetreten - Strom und Diesel für den Sender auf Mittelwelle (1301 kHz) und Kurzwelle (7295 kHz) verschlangen ein Vielfaches als die spärlichen Einnahmen. Wir als Radio Victoria konnten das alles nicht ausgleichen. Zwar war Milano als Relaisstation durch uns wirklich in aller Munde (und wurde vereinzelt auch von "befreundeten" Hobbypiraten wie "Radio Tutenchamun" oder von "Radio Joystick" - durch den abtrünnigen ex-Radio Victoria-Moderator Jens Hofstadt alias Charly Prince aus Mülheim/Ruhr - genutzt), aber das machte den berühmten Bock nicht fett.

Also schnell umpolen. Die Freunde von Radio Time reaktivieren. Die Sendungen kamen jetzt nachts - auf 7110 kHz und - zunächst - nur noch vier Stunden. Zusätzlich über alle UKW-Frequenzen in der Toskana. Und irgendjemand stellte einen Kontakt mit Radio Tirol in Südtirol (dem Dr. Fleischmann) her.

Südtirol... wir erinnern uns noch an einen Kontakt mit der Juniorchefin von Conrad Electronics, wegen Störungen von "Radio C" (aus Südtirol) im Raum München durch einen militanten UKW-Piratensender, der dazwischen funkte. Derart massiv waren wir trotz aller Schwierigkeiten im Gedächtnis der beginnenden Privatradioszene verankert, dass wir sogar um Hilfe gebeten wurden... Ich glaube, dieser verlängerte UKW-Rücken in Raum München war sogar Mitglied bei uns und wir schrieben ihm einen netten Brief... Die Störungen durch "Radio 64/Radio Uferlos" auf der Frequenz von Radio C hörten tatsächlich auf. Ich glaube irgendwo gelesen zu haben, dass der Betreiber geschnappt und zu einer saftigen Strafe verurteilt wurde. Von mir kam der Tip allerdings nicht, ich hätte nie jemanden an die Wand genagelt, auch bei aller unterschiedlicher Auffassung nicht.

Deutsches Privatradio begann im Kabel. Für Alexander Wiese und seine "tav - tele audio vision" schrieb ich bissige Kommentare über die örA (öffentlich-rechtlichen) Sender und die nun beginnende Privatradioszene (hört, hört - er haut wieder drauf!). Jemand aus Frankfurt machte stundenweise als "Radio Petticoat" und Rock'n'Roll-Musik im Berliner Kabel Programm - alles ein Flop, der nur wenige Monate dauerte... auch wenn das Kabelnetz in München derart "undicht" war, dass man die ersten vier Senderchen problemlos auch im Autoradio empfangen konnte.
Victoria verlor dramatisch an Hörern. Die 7110 war zwar hörbar, aber nicht soooo gut. Und von Radio Tirol gab es zwar Reaktionen durch Hörerbriefe, aber wir hörten es nicht. Und einer schrieb uns, dass es massive Proteste von Werbekunden gegeben habe - unser Programm war wegen der Musik (gnadenlos der Zeit voraus) nicht kompatibel zu dem Gedudel von Südtirol. Ich schrieb daraufhin im FRAG-Magazin "nächstes Mal werden wir Kuhglocken läuten und irgendeine Tussi laut Hallelujah rufen lassen". Wochen später rief ich mal an und jener (zwischenzeitlich verstorbene) Dr. Fleischmann muffelte nur herum und gab nur ausweichende Antworten. Nöööö - er wisse von nix und so. Ja was denn? Hatte er die Kassetten erhalten oder nicht, strahlte er aus oder nicht? Arschloch (sorry)! Also wieder mal Schwamm drüber. Wir stoppten jedenfalls die Post nach Südtirol (in dieser Zeit liefen die Programme sporadisch auch über Radio Eisack - wie sie dorthin kamen, war mir schleierhaft).

Alles löste sich unter meinen Fingern auf. Irgendein netter Hörer, ich glaube, es war Roland Fischer, schickte sogar einen Umschlag mit 300 DM (oder so) Spende, damit wir unser Radio Time-Relais ausbauen konnten. Aber das Geld reichte einfach nicht. Ich muss gestehen, dass ab Ende 1985 dann einige vergebens auf das vorausbezahlte FRA Germany-Fanzine oder die Kassetten der "Geschichte der Seesender" warteten. Andere wiederum bekamen alles, was fertig wurde, es funktionierte nach Zufallsprinzip und der Anzahl der Briefmarken, die ich mir leisten konnte.

Michelle hatte auch beruflich nun soviel zu tun und setzte weder auf eine Gesangskarriere noch auf einen Job als Moderatorin im kommenden Privatradio. Sondern auf die Luftlinie - ein Einsatz nach Berlin stand an... Die vorerst letzte Sendung mit ihr lief am 29. Juli 1985 - und blieb auch zufälligerweise die letzte.

Ich schaute mich nach "Ersatz" um und der kam dann tatsächlich mit einem anderen Mädel, das ich in der damaligen "Batschkapp" kennen lernte - eine gewisse Leta Mokkri (Finnin, 20 Jahre, Modedesign-Studentin) mit einer allerdings etwas heiseren Stimme (so wie ich mich erinnern konnte). Es blieb bei ein, zwei Sendungen. Für Michelle gab es eben keinen Ersatz! Und mit Victoria hatte ich die Schnauze voll.

Denn: Das Konzept Ende 1985, für jeden Tag eine Stunde Programm aufzunehmen und diese Stunden nachts ab Mitternacht auszustrahlen, möglicherweise sogar bundesweit als "fmtrend-radio" (oder, oder, oder) ging nicht auf.

Mit Radio Time klappte zwar die Zusammenarbeit, der International Service lief weiter. Man bot mir sogar Geld (!) an, um weiter zu machen. Ich unternahm einen letzten Versuch, wieder hörbare Regelmässigkeit hinein zu bringen - Radio Delmare. Das Überbleibsel des ehemaligen Seesenders war ein Kurzwellensender, der relativ unbeeinträchtigt von "postalischen Überfällen" meist auf 6206 kHz recht gut hörbar sendete, Leistung so um die 1-2 KW und Standort in Südholland oder Nordbelgien. Johan Rood war der Betreiber, der Mann, der bis zuletzt auf dem letzten Sendeschiff von Radio Delmare ausgehalten hatte und fast verhungert und verdurstet wäre, weil niemand eine Bevorratung vornahm bzw. wegen lauernder Behörden vornehmen konnte.
Und ich nahm Kontakt mit der (damaligen) CSSR auf - da war ein Mittelwellensender auf 1080 kHz nachts problemlos in ganz Europa hörbar.
1080 nachts und 6206 wochenends Delmare, das war besser als der bisherige Zustand. Ich hörte zwar Victoria ganz schwach mit einer Testsendung im Tropenband (3975 kHz) sowie auf 6208 via Radio Time durchdringen, nur war es kein Hörgenuss und eher was für richtige DXer, aber nicht den "Normalhörer", der eben mal sein Empfangsgerät auf eine gut hörbare Frequenz auf Kurzwelle einstellt - die BBC in deutsch etwa oder oder...

Schwer zu schaffen machte (uns allen) auch die Störsender. Wir erinnern uns : damals war Kurzwelle etwas ganz anderes als heute. Damals war noch kalter Krieg und aus dem "Ostblock" kamen jede Menge Störsender herüber. Das Hintergrund-Grossflächenradar der UdSSR prasselte praktisch über den gesamten Frequenzbereich. Und sobald Radio Liberty, Radio Free Europe oder die Deutsche Welle sendeten, kam wenige Momente später ein Störsender mit Pieps- und Klackgeräuschen sowie rückwärts gespieltem Programm-Mischmasch auf gleicher Frequenz in den Äther. Wie wir heute wissen, sassen damals Hausfrauen (!) in stillgelegten (!) Fabriken entlang des Urals und drückten zu einer bestimmten Zeit einen bestimmten Knopf, um einen der etwa hundert (!) Sender - nur für Kurzwelle - in Betrieb zu nehmen, die gezielt Störungen ausstrahlten. Diese Sender wurden dann grossteils ab 1989 nach und nach verschrottet, andere verkauft und kommerziell genutzt für erste private Senderprojekte in der untergegangenen UdSSR. Wer heute reinhört in die Kurzwelle, wird wohltuende Ruhe und Stille auf fast allen Frequenzen feststellen. Kein Vergleich zu damals - wer es nicht gehört hat oder noch im Ohr hat, wird es nicht glauben. Aber es war so.

Aber... aus der CSSR kam eine Absage, und als wir das Programm für das Delmare-Relais produzierten, war dies wegen plötzlich eingetretener "rechtlicher Probleme" (die Behörden waren aufgewacht) dann monatelang off air. Das Programm, was wir aufgenommen hatten, wurde als allerletztes Lebenszeichen dann etwa sechs Monate später auf 6206 Khz ausgestrahlt - wir wussten von nichts, weil wir es nicht gehört hatten.

Radio Victoria war sozusagen sang- und klanglos untergegangen. Trotz heftigster Bemühungen nicht wieder zu beleben. Ich war restlos pleite. Konnte gerade noch die Miete für das möblierte Zimmer zahlen, das Auto war weg... keine Versicherung, Plakette irgendwann mal abgekratzt... Es war übel. Bis Anfang 1986 hielt ich die FRA Germany mit den Ausgaben noch am Leben. Ich weiß nicht mehr, wie ich mich über Wasser gehalten habe. Irgendwie eben. Ich produzierte wieder Musikkassetten und die berühmten Kopien der Kopien der berühmten Kinofilme. Aber auch hier ging es bergab und stockte - eine nach der anderen der "Kopieranstalten" flog auf, teilweise durch Konkurrenzneid untereinander. Anonyme Hinweise halfen Ermittlern auf die Sprünge. Die Szene war damals schon richtig durchtrieben...
Da gab es einen mit Elektrostrom (!) gesicherten Keller in Essen, wo auf Teufel-komm-raus kopiert wurde. Und ein Kioskbesitzer (!) aus Koblenz entpuppte sich als einer der grössten "Anbieter" jener VHS-Filmchen. Den schnappte man und verdonnerte ihn zu zwei Jahren Gefängnis und 200.000 DM Geldstrafe. AUWEIA. Mir wurde ganz anders... Zudem wurde das bescheidene Angebot in den Videotheken langsam besser.... Wo man auch hinblickte - die Einnahmequellen versiegten so langsam.
Ja, es war eine wilde Zeit.

Aber damals wie heute : Piraten bleiben Piraten. Die Offshoresender hatten durchaus ihre Lebensberechtigung, gab es doch nur ein sehr dürftiges Angebot an entsprechenden Sendern "an Land". Und das galt - damals - auch für das Angebot der Videotheken mit ihren Uraltschinken. Damals war ich auch von der Berechtigung, das "Gesetz zu brechen" überzeugt. Heute denke ich da etwas anders darüber: Urheberrecht zum Beispiel. Wenn auch von der "Gema" und anderen m.E. recht weit ausgelegt. Niemand hat aber das Recht, sich einfach Kinofilme zu kopieren und dann schwunghaften Handel damit zu treiben. HEUTE. Raubkopierer zerstören die Film- und Musikindustrie und hindern - unbewusst - neue Talente / Filmproduktionen finanziell daran, überhaupt auf den Markt zu kommen. Und wenn das alles dann auch noch "kommerziell" betrieben wird, bin ich sehr dafür, da auch mit harten Strafen zu reagieren.

Eingeschränkt bin ich auch bei Musiktiteln dafür (und den schwunghaften Musiktauschbörsen wie einst "Napster"). Dass sich die Kids heute für "lau" ihre Affenmusik (sorry) und neuesten Hip-Hop-Titel herunterladen und dabei keinerlei Unrechtsbewusstsein entwickeln, ist schon verblüffend. "Ich habe nicht genug Geld" darf kein Argument sein, die Musikindustrie praktisch auszuhöhlen. Aber das ist den - Schreck lass nach - geistigen Tieffliegern von heute kaum beizubringen. Wie hat sich die Jugend verändert! Ich spreche schon so wie meine Eltern damals. Wie die Zeit vergeht. Und die meinten damals mit der "Affenmusik" die Langhaarigen, Beatles, Rolling Stones... etwas, was keinen heute mehr aufregt, damals aber eine Revolution war.
Ich akzeptiere Musiktausch nur, wenn es um ältere Titel und Raritäten geht, die es nirgends mehr auf LP, geschweige denn CD, gibt. Und wie verzweifelt suche ich beispielsweise "There's No More Corn On The Brazos" von den Walkers aus 1971... Oder "Old Dom Is Dead" von Hans van Hemert... Ich würde ja gerne die CD mit diesem Titel kaufen - nur gibt es keine! Ich hoffe, ich habe mich klar genug ausgedrückt!

Die Schöne und das Biest - Roger mit charmanter
Begleitung in 2004

Nun, 1986 war angebrochen. Tschernobyl war gerade hochgegangen... So eines der letzten FRA Germany-Fanzine behandelte den Sendestart von Privatradio in Rheinland-Pfalz. Damals hatte man drei Frequenzen: 100,6 in Mainz, 103,5 in Koblenz und 103,6 in Mannheim (Baden-Württemberg) und vier Anbieter auf Programm: den LR-Linksrheinischen Rundfunk mit 1-2 Stündchen, ein undefinierbares "Radio 85", "PRO Radio 4" vom FDP-Mann Hoffie und als grösster Anbieter RPR mit Sitz und Studio in der Turmstrasse 8 in Ludwigshafen.
Ich schrieb, wie es so meine Art war, einen kritischen Kommentar. Und schickte das Heft auch zur RPR. Und bekam Post von Dieter Mauer, dem damaligen Programmchef von Radio RPR. Er lud mich zu Gesprächen ein... Und wie es dann weitergeht, ist ein anderes Kapitel!

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